Das Munich Cluster: erster Testlauf des E-Window
Noch ist es eine Fiktion: Lorenza Salati und Giulio Focardi wollen Werkstätten über ein elektronisches Fenster verbinden. Während des Munich Cluster haben sie im Spätsommer 2016 einen Testlauf gewagt. Mit dabei waren: das Haus der Eigenarbeit, die Werkbox³, das FabLab München und das Munich Maker Lab. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.
Wissen und Ideen bei einem Plausch teilen. Fachsimpeln und Projektentwürfe spinnen. Zusammen ein Werkstück anfertigen. Das gehört zum ganz normalen Arbeitsalltag, solange man dieselben Räume nutzt. Trennen aber große Distanzen die beteiligten Partner*innen, kommen gemeinsame Projekte schnell zum Stillstand. An diesem Problem setzt die Idee des Multifactory Network von Lorenza Salati und Giulio Focardi an. Die beiden Mailänderinnen träumen davon, Kooperationen über große Entfernungen hinweg zu fördern und kollaborative Arbeitswelten unabhängig vom Ort aufzubauen. In ihrem Netzwerk sollen Menschen jenseits kapitalistischer Produktionszyklen gemeinsam Dinge entwickeln und herstellen können.
Die Idee basiert auf drei Säulen:
- Das Herzstück ist das E-Window. Darin stellt ein Voice over IP-Videochat die Verbindung zu anderen Werkstätten aus dem Netzwerk her. Am Fenster kann man sich treffen und (fast) face-to-face austauschen.
- Die Teilnehmer*innen zeigen sich und ihre Arbeiten in Video-Tutorials und Präsentationen.
- Ein freies Austauschprogramm sorgt für reale Kontakte.
Im August 2016 startete das „Munich Cluster“, der erste Versuch, das elektronische Fenster in mehreren Werkstätten gleichzeitig zu installieren. Gemeinsam mit vier Münchner Einrichtungen haben Giulio und Lorenza das Konzept durchgespielt und Schwachstellen ausgelotet. Auf dem Plan standen neben dem Bau der Fenster verschiedene Videoworkshops; parallel dazu begann die Entwicklung der VoIP-Software.
Das Fenster nimmt Gestalt an.
Als Filmemacher hatten Lorenza und Giulio klare Vorstellungen von den Videos. Ihr Ziel ist, dass die Mitglieder des Netzwerks in Zukunft eigenständig How-To-Tutorials und Präsentationen drehen können. Das Cluster lieferte viele Erkenntnisse dazu, wie man Laien den Einstieg ins Filmemachen erleichtern kann - die Basis für einen zukünftigen Leitfaden.
Im Haus der Eigenarbeit - wie stellt man so ein breites Angebot in einem kurzen Video dar? Hier findet ihr die anderen Videos, die bisher entstanden sind.
Beim Videodrehen können die beiden ihre eigenen Erfahrungen einbringen: 2014 haben sie eine Dokumentation über neue Wege des Zusammenarbeitens veröffentlicht, die auch auf dem VOW-Festival in Potsdam zu sehen war. Anders sieht es bei der Softwareentwicklung aus. Momentan arbeiten zwei Teams an verschiedenen Ansätzen, doch die Programmierung der Videoschnittstelle ist nach wie vor die größte Baustelle des Netzwerks. Kommerzielle Lösungen kommen für Giulio und Lorenza aufgrund des potenziellen Datenmissbrauchs nicht in Frage. Mit dem E-Window wollen sie ein Medium schaffen, bei dem die Nutzer*innen ihre Redefreiheit nicht mit persönlichen Daten bezahlen müssen. Doch noch gibt es keine freie Software, die einen reibungslosen Betrieb garantiert; die dazu nötige Voice-over-IP-Technologie ist komplexer, als erwartet. Aktuell können die Fenster nur die Filme zeigen, oder Bildübertragungen ohne Ton.
Noch überträgt es nur Bilder ohne Ton - das E-Window.
Aus den Werkstätten waren nach dem Cluster gemischte Erfahrungen zu hören. Von der grundsätzlichen Idee waren alle begeistert, die meisten Teilnehmer*innen sehen im E-Window großes Potenzial. Die Softwareentwicklung, die parallel zum Cluster lief, erzielte allerdings keine Fortschritte, und aufgrund mangelnder Kenntnisse konnte sich in diesen Prozess auch kaum eine*r der Münchner einbringen. Anders als erhofft, gab es dann am Ende kein funktionierendes Fenster – das große Nutzererlebnis blieb aus. Für einige schien zudem fraglich, ob sich das Window für den eigenen Werkstattbetrieb eignet. In Werkstätten mit überwiegend privatem Publikum bestand nur geringe Nachfrage, persönliche DIY-Projekte in Videos zu präsentieren.
Für Giulio und Lorenza war das Cluster ein guter Testlauf, der viele kritische Punkte aufdecken konnte. Jede Werkstatt hat unterschiedliche Bedürfnisse und Vorstellungen, das aktuelle Konzept lässt aber nur wenig Spielraum. Und obwohl es eine gemeinsame Orientierung hinsichtlich Teilen, Tauschen und gegenseitigem Lernen gibt, bestehen große Unterschiede zwischen den Werkstätten. Bei der Fortentwicklung des Konzepts wird es daher auch um die Frage gehen, wie man diese Unterschiede anerkennen und produktiv nutzen kann, um echte Verbindungen entstehen zu lassen.
Auf der nächsten Make Munich vom 06. - 07.05.2017 könnt ihr das Window übrigens selbst testen. An den Ständen der Verbundmitglieder kommen einige Fenster zum Einsatz. Sie übertragen dort (dann vielleicht sogar schon mit Ton) jeweils das Geschehen an den anderen Ständen.