Interview #3 - Lätitia Norkeit von Werkraum W

22. Oktober 2019 | von Barbara | Werder
explore

Mit dem Werkraum W haben sich Lätitia und Maxim vom Halle 36 e.V. raus aus der Komfortzone begeben - Selbermachen mit Jugendlichen, das fand durch das angeschlossene Wohnprojekt in der Werkstatt schon lange statt. Aber funktioniert das auch mit jungen Menschen, die nicht schon durch Elternhaus und Schule mit DIY, Upcycling und co. vertraut sind? Für die der Besuch einer Werkstatt mit größeren Hürden verbunden ist? Viele neue Eindrücke und Erfahrungen haben sich daraus ergeben, miteinander lernen - für die Teilnehmer*innen wie auch für das Team:

Ihr seid noch ein relatives junges Projekt: Der Verein Halle 36 e.V. wurde 2016 gegründet. Was war die Idee dahinter?

Die Werkstatt hat sich als Teil unseres Wohnprojekts entwickelt: Das Uferwerk auf dem Gelände einer alten Fabrik in Werder, der Halle 36, beherbergt mittlerweile 160 Menschen, vom Säugling bis zur Rentnerin. Schon im Entstehen war viel Eigenarbeit gefragt, der Bedarf handwerklicher Ausstattung damit groß. Etliche Bewohner*innen haben auch aufgrund ihrer Berufstätigkeit Bedarf an Atelierflächen gehabt. Und viele bringen auch schon eine gewisse Philosophie, einen persönlichen „Werkstatt-Spirit“ mit, sind in ökologischen oder sozialen Projekten aktiv, setzen sich für Teilhabe und Empowerment ein, sind kritisch gegenüber Konsumwahn und Kapitalismus. Als wir dann auf Fördermöglichkeiten im Rahmen der nationalen Klimaschutzinitiative gestoßen sind, lag der Schritt zur Gründung einer gemeinschaftlich genutzten Werkstatt nahe.

Eines Eurer Kernprojekte ist die Klimawerkstatt. Was hat es damit auf sich?

Die Idee dahinter ist, Klimaschutz lokal zu verankern, nachbarschaftlich im Alltag der ansässigen Menschen. Dazu gehören niederschwellige Projekte wie Kleidertausch, Reparaturcafés, und fachlich kompetente Beratung zu Energiefragen. So können Menschen Alternativen zum Massenkonsum und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen entdecken. Die Klimawerkstatt bietet auch Raum zur Vernetzung für Initiativen, die sich mit ökologischen oder sozialen Fragen beschäftigen.

Fridays for Future hat sichtbar gemacht, dass junge Menschen sich aktiv für Klima- und Umweltschutz einsetzen. Wie sind Eure Erfahrungen Jugendlichen zu diesen Themen?

Da besteht eher loser Kontakt. Wir hatten Raum zum Plakate malen zur Verfügung gestellt, aber die aktiven Jugendlichen hier haben ihre Plakate lieber zuhause als in der Werkstatt gestaltet. Die wollen unabhängig agieren – hier stellt sich eher die Frage: Wie kann man da unterstützen, ohne zu viel „erwachsenen“ Input zu liefern?

Welche Werkbereiche beherbergt Halle 36?

Es gibt einen Metall- und Holzwerkbereich, ein weiterer Raum beherbergt Nähen/Textilgestaltung und Elektro, und eine Fahrradwerkstatt.

Was sind die Hauptaktivitäten, die durch die explore-Förderung möglich wurden?

Workshops, in denen Jugendliche in unseren Werkstätten eigene Produkte herstellen konnten. Dazu haben wir verschiedene Produkte herausgesucht, die sich gut umsetzen lassen, z.B. kleine Möbel wie eine Bank, kleine Regale… Dinge, die schnell herzustellen sind, die gut aussehen und die man brauchen kann. Solarlampen, eine solarbetriebene Powerbank. Oder Umhängetaschen, die man leicht individualisieren kann, indem man Ösen oder Reißverschlüsse anbringt. Unser Prinzip dahinter war, ein variables Angebot zu schaffen, bei dem Jugendliche nicht völlig frei drauflos arbeiten, sondern eine gewisse Orientierung haben durch das Produkt, das rauskommen soll, bei diesem aber möglichst viel selbst entwickeln können.

Mit Werkraum W wolltet Ihr Jugendliche erreichen, die mit dem Selbermachen nicht schon durch Ihr Elternhaus vertraut sind, die also größere Barrieren überwinden müssen, um an Werkstatt-Angeboten teilnehmen zu können. Welche Erfahrungen konntet Ihr dadurch machen/was habt Ihr bei Werkraum W gelernt?

Ja, zum Beispiel mit Heimkindern. Das war teilweise eine große Herausforderung, für die viel Zeit und Spielraum nötig war. Man kommt dabei mit den eigenen Vorurteilen in Berührung, so hatten wir erwartet, dass die Jugendlichen schwer zu motivieren sind. Aber wenn man Raum gibt zum Agieren, können viele total ranklotzen, bekommen einen richtigen Energieschub. Wichtig ist, dass man nicht lehrerhaft rüberkommt, beim Tun aber Sicherheit vermittelt. Und gute Rahmenbedingungen schafft: Zusammen kochen und essen, gemeinsam chillen. Auf diesem Weg sind so viele Dinge entstanden, die die Jugendlichen weitgehend alleine hergestellt haben… und sie nutzen die Gegenstände tatsächlich, haben die Möbel zuhause oder in der Schule aufgestellt und uns Fotos davon geschickt. Die letzte Gruppe, die wir im Rahmen von explore in der Werkstatt hatten, war eine Gruppe chinesischer Studierender, bei denen Handwerk eher negativ besetzt war – zunächst fehlte in der Gruppe das Verständnis vom Produkt als Summe verschiedener Einzelteile, der Umgang mit dem Akku-Bohrer hat manchen Angst gemacht. Bei einigen von ihnen hat das Selbermachen viel zum Verstehen eines Gegenstands beigetragen und Ergriffenheit über das selbst hergestellte Produkt ausgelöst.

Was haben – nach Eurer Einschätzung - die Jugendlichen gelernt?

Dass man Sachen ganz einfach selber machen kann. Je nach Projekt den Umgang mit Akku-Bohrer, Näh-Maschine, Kapsäge. Grundkenntnisse über Schnittmuster. Hier war es praktisch, dass bei uns in der Werkstatt gut ausgebildete Menschen aktiv sind, z.B. eine Tischlerin, die sich auch in der Vermittlung von Kenntnissen viel zutraut.

Euer Eindruck: Was macht das Selbermachen/das Umsetzen eigener Projekte und Ideen mit den Jugendlichen?

Sie erfahren Selbstwirksamkeit. Und tauchen ein in eine andere Realität, in der sie selbst etwas schaffen, das man gebrauchen kann.

Kommen Jugendliche über einen längeren Zeitraum in Eure Werkstatt?

Ja, fünf Jugendliche aus dem Projekt kommen immer wieder. Sie wollen ihr Projekt fertigstellen, haben weitere Ideen, die sie umsetzen wollen. Oder dann muss Fahrrad muss repariert werden.

Welche Gewerke, die es bei Euch bislang noch nicht gibt, oder: welche Techniken, die Ihr bislang noch nicht umgesetzt habt, würdet Ihr gerne noch in das Angebot mitaufnehmen?

Handyreparatur in der Elektrowerkstatt

Lieblingsgegenstand, den Du/Ihr selbst in Euren Werkstätten angefertigt habt?

Gehäuse ausdrucken für Arduino und Display

Was sind die nächsten Ziele von Halle 36? Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft Eurer Werkstatt?

Eine Grundfinanzierung, die die Werkstatt trägt – und die Beschäftigung von Werkstattleitern ermöglicht, damit nicht ein Großteil durch ehrenamtliches Engagement getragen wird. Außerdem wäre es schön, eine mobile Fahrradwerkstatt einzurichten – es gibt überall kaputte Fahrräder, man könnte in Unterkünften für Geflüchtete und Heimen aktiv sein, und Mobilität durch Fahrräder schaffen.