Mehr Raum wagen!
Es gibt Projekte, die sofort neugierig machen – weil sie zum Beispiel gewitzt mit Knappheit umgehen, institutionelle Barrieren umschiffen oder ein Problem auf charmante Art selbst zum Konzept werden lassen. Das alles trifft auf den Raum_Wagen aus Linz zu. Dabei handelt es sich um einen feuerwehrroten Anhänger, der mal als mobile Werkstatt, mal als Küche oder Ausstellungsort unterwegs ist. Immer mit der Mission, gemeinsam mehr Raum zu wagen und zu gestalten. Dahinter steckt die Architektin Hannah Kordes.
Gemeinsam mit anderen Studierenden der Kunsthochschule Linz hatte sich Hannah mit der Weiterentwicklung des Leisenhofs beschäftigt. Der Leisenhof ist ein denkmalgeschützter Vierkanter in Urfahr, erbaut 1751 und wunderbar gelegen an der Schnittstelle zwischen Stadt und Natur, nur 10 Minuten vom Linzer Zentrum entfernt. Daraus erwuchs der Wunsch, den weitgehend ungenutzten Hof als Gemeinschaftsort für alle zu öffnen und wiederzubeleben.
Sieht nach jeder Menge Platz aus - Skizze des Leisenhofs
Die angehenden ArchitektInnen nahmen die Bewirtschaftung einer brachliegenden Demetergärtnerei auf dem Gelände wieder auf und entwickelten Konzepte zur (Um-)nutzung der 1 Hektar großen Fläche. Leider konnten sie mit dem Eigentümer, der Diözese Linz, keine Einigung über einen längerfristigen Betrieb erzielen. Aufgrund der besonderen Lage am Stadtrand unterhalb des Pöstlingbergs steigen in Urfahr schon seit geraumer Zeit die Mieten, alteingesessene Mieter und Projekte werden verdrängt. Auch der Leisenhof stellt ein wertvolles Areal dar.
Es blieb unklar, ob und wann Hannah ihre Visionen von einem partizipativen Lern- und Begegnungsort würde umsetzen können. „Wenn es mit der Immobilie nicht klappt, dann eben in einer Mobilie!“ Dieses Fazit zog Hannah aus ihren Erfahrungen und machte die Erprobung des Wagens als mobilem, gemeinschaftlichem Raum zum Thema ihrer Masterarbeit.
Der Wagen ist ein Feuerwehranhänger, erstzugelassen im Jahr 1975. Bevor Hannah ihn auf einer Onlineplattform zum Verkauf fand, diente er bei Festen der Feuerwehr Schönau als Küche und Unterstand. Und wurde dort wohl sehr geschätzt: Immer wieder schauten Schönauer Feuerwehrleute vorbei, die wissen wollten, was aus ihrem nun zum Raum_Wagen umgebauten Anhänger geworden war.
Vom Feuerwehranhänger zum Raum_Wagen
Ohne Zugfahrzeug kann sich der Raum_Wagen nicht vom Fleck bewegen. So „trampte“ er im vergangenen Jahr von Standort zu Standort: Auf dem Ars Elektronica Festival und den Architekturtagen Linz war er zu Gast. Für seinen Besuch auf dem Open Air im zehn Kilometer entfernten Ottensheim verkleidete er sich sogar als Beauty Salon. Probleme bei den Umzügen gab es nie. Durch das „Angehängt sein“ ergaben sich immer wieder neue Kontakte und Chancen zu raum_wagenden Experimenten.
Wenn der Raum_Wagen weiterreist
Bei der nächsten Station angekommen, ging es meist darum, mit den Menschen vor Ort zunächst fehlende Strukturen zu schaffen. Wie kann dort eine Begegnungsstätte entstehen? Welche Veränderungen und Teilhabeprozesse helfen den Menschen, den Raum für sich zu erobern? Das Ziel dabei war, den jeweiligen Platz ein bisschen besser zu verlassen, als man ihn vorgefunden hatte. Der Wagen beherbergt neben einer volleinsatzfähigen Küche eine solide Grundausstattung an Werkzeug, außerdem einige Maschinen wie Tischkreissäge und Schlagbohrer. Als Baumaterial diente meist, was sich als vermeintlicher Abfall in der Umgebung fand und wiederverwertbar war.
Frei nach Pippi Langstrumpfs Motto „Ich mach mir die Welt…“ fordert der Raum_Wagen dazu auf, sich aufs Gestalten einzulassen und gemeinsam Wagnisse einzugehen. Gleichzeitig verweist er auf die tatsächlich herrschenden prekären Raumverhältnisse, in denen das Recht auf Stadt, auf gemeinsamen Freiraum, auf Teilhabe und Mitbestimmung immer wieder neu eingefordert werden muss. Raum zu haben ist – trotz Leerständen und Brachen – keine Selbstverständlichkeit. Leider müssen das gerade Offene Werkstätten und andere Gemeinschaftsorte immer wieder erfahren.
Hannah sieht den Raum_Wagen als „Werkzeug, um auf räumliche Ressourcen aufmerksam zu machen und das Vorhandene gemeinsam mit den Menschen vor Ort zu aktivieren“. Als solches ist er auch in diesem Jahr ab Mai wieder unterwegs. In und um Linz und im Herbst geht er sogar auf große Reise ins 184 km entfernte Wien. Gute Fahrt, roter Raum_Wagen!
Mitmacher*Innen und Kollaborationen sind sehr erwünscht: Wer Ideen für gemeinsame Aktionen hat, kann Hannah hier kontaktieren.